Zentrum für gynäkologische Krebsfeldoperationen

Die Universitätsfrauenklinik Essen ist eines der beiden Zentren in Deutschland, in dem alle gynäkologischen Krebserkrankungen nach neuen Erkenntnissen über die Tumorausbreitung,  dem ontogenetischen Krebsfeldmodell, operiert werden. Die als ontogenetische Krebsfeldchirurgie bezeichneten Operationsverfahren entfernen den bösartigen Tumor und seine Tochtergeschwülste in den Lymphknoten unter Berücksichtigung seines entwicklungsgeschichtlich (ontogenetisch) vorbestimmten Ausbreitungsgebietes. 


Die präzise Ausführung der Krebsfeldoperationen erlaubt den vollständigen Verzicht auf eine zusätzliche postoperative Strahlentherapie. Die operativen Techniken wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten am Universitätsklinikum Leipzig in der Leipzig School of Radical Pelvic Surgery entwickelt und unter Studienbedingungen an über 900 Patientinnen mit Karzinomen des unteren Genitaltraktes (Gebärmutterhals, Scheide, Vulva) durchgeführt. Ihre überragenden Ergebnisse sind mit zahlreichen Arbeiten in der führenden Fachzeitschrift The Lancet Oncology publiziert:

  • Höckel et al, Lancet Oncol 2019; 201: 1316-1326
  • Höckel et al, Lancet Oncol 2018; 19: 537-548
  • Höckel, Lancet Oncol 2015; 16: 148-151
  • Höckel et al, Lancet Oncol 2014; 15: 445-456
  • Höckel et al, Lancet Oncol 2009; 10: 682-692
  • Höckel et al, Lancet Oncol 2005; 10: 645-646


Prinzip
Detaillierte Untersuchungen am Universitätsklinikum Leipzig bei Karzinomen des Gebärmutterhalses, der Vagina und der Vulva haben gezeigt, dass sich bösartige Tumore nicht wie bisher angenommen unvorhersagbar in allen an den Tumor angrenzenden Geweben ausbreiten, sondern in Abhängigkeit vom Malignitätsfortschritt immer größere, aber anatomisch genau festgelegte Gewebegebiete infiltrieren. Diese Geweberäume, die stadienbezogenen Krebsfelder, leiten sich aus der Embryonalentwicklung (Ontogenese) des Gewebes, in dem der Tumor entstanden ist, ab. Die Embryonalentwicklung stellt ein Ordnungsprinzip für die Tumorausbreitung auf und liefert die Basis für die operative Anatomie (ontogenetische Anatomie).

Die vollständige operative Entfernung des individuellen Krebsfeldes minimiert die Rückfallwahrscheinlichkeit der malignen Erkrankung, gleichzeitig werden die Nebenwirkungen der Operation verringert, da Gewebe außerhalb des Krebsfeldes trotz unmittelbarer Nähe zum bösartigen Tumor erhalten bleiben kann. Bei den konventionellen Krebsoperationen wird der Tumor mit einem allseitigen tumorfreien Gewebemantel entfernt, was häufig zu einer unnötigen Überbehandlung mit zum Teil erheblichen Nebenwirkungen führt.

Wegen der immunologischen Beziehung der Krebsfelder als periphere Gewebe zu den mit ihnen assoziierten Lymphknoten, können diejenigen Lymphknoten, die möglicherweise Metastasen enthalten, genau erfasst und gezielt operativ entfernt werden. Im Gegensatz zum herkömmlichen Konzept, bei dem operativ lediglich der Nodalstatus ermittelt wird und im Falle von Lymphknotenmetastasen die Bestrahlung indiziert ist, erfolgt im Rahmen der Krebsfeldoperation die therapeutische Lymphknotenentfernung ausschließlich operativ ohne zusätzliche Strahlentherapie.

Aus dem ontogenetischen Krebsfeldmodell kann gefolgert werden, dass der größte Nutzen der Krebsfeldchirurgie bei bösartigen Tumoren, die in einem mittleren Stadium diagnostiziert werden, zu erwarten ist. In der gynäkologischen Onkologie gilt das insbesondere für den Gebärmutterhals-, Scheiden- und Vulvakrebs. Aber auch bei bösartigen Erkrankungen, die im (vermeintlichen) Frühstadium entdeckt werden, zeigen sich Vorteile der Krebsfeldoperationen, beispielsweise bei Tumoren, deren Malignitätsstadium vor der Behandlung zu niedrig eingestuft wurde. Das Stadium einer Krebserkrankung kann nicht bei allen Patientinnen genau sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eingeschätzt werden. Bei weit fortgeschrittenen Tumorstadien ist die operative Entfernung des gesamten Ausbreitungsraumes nicht mehr mit dem Leben bzw. einer menschenwürdigen Lebens-qualität vereinbar. Aber auch hier bieten die Krebsfeldoperationen unter bestimmten Voraussetzungen noch eine Heilungsmöglichkeit, die mit konventionellen Operationen oder Bestrahlung nicht mehr besteht.

Operationstechniken

  • Peritoneale mesometriale Resektion (PMMR) mit diagnostischer („targeted compartment lymphadenectomy”) bzw. therapeutischer lumbopelviner Lymphknotenentfernung nach dem Essener Behandlungskonzept
  • Totale mesometriale Resektion (TMMR) und diagnostische first-line bzw. therapeutische first-, second- und third-line Lymphknotenentfernung zur Behandlung des Gebärmutterhals- und Scheidenkrebses
  • Vulvafeldresektion (VFR) und diagnostische Sentinel bzw. therapeutische first-, second- und third-line Lymphknotenentfernung und anatomische Rekonstruktion zur Behandlung des Vulvakarzinoms
  • Die Anwendung der verschiedenen Varianten der Krebsfeldoperation und der therapeutischen Lymphknotenentfernung wird durch das ontogenetische Stadium der lokalen und regionalen Tumorausbreitung für jede Patientin individuell bestimmt. 

Behandlungspfad

  • Betroffene Patientinnen werden zunächst ambulant untersucht und beraten.
  • Im zweiten Schritt erfolgt beim Zervix-, Vaginal- oder Vulvakarzinom die Feststellung des ontogenetischen Tumorstadiums im Rahmen eines kurzzeitigen stationären Aufenthalts durch eine Untersuchung in Narkose, beim Gebärmutterhalskrebs bei gleichzeitiger Darstellung der MRT-Bilder im Operationssaal. Aus der Zusammenschau aller Befunde wird der vorläufige operative Behandlungsplan erstellt und der Patientin detailliert erklärt.
  • Die definitive, dem ontogenetischen Stadium angepasste Krebsfeldoperation mit therapeutischer Lymphknotenentfernung wird dann durch die genaue Beurteilung der Tumorsituation während der Operation bestimmt. Hier arbeiten Operateure und Pathologen eng zusammen.
  • Nach dem Eingriff wird die Patientin vom Operateur über die intraoperativen Befunde und die durchgeführten operativen Maßnahmen informiert. Bei Entlassung erhalten die Patientinnen den Originaloperationsbericht ihres Eingriffs und den kompletten histopathologischen Befund zu den Operationspräparaten.