Zervixkarzinom
In Deutschland wird der Gebärmutterhalskrebs trotz wirksamer und gut etablierter Präventionsmaßnahmen gegenwärtig jährlich bei etwa 4400 Frauen diagnostiziert. In knapp der Hälfte der Fälle sind es frühe Stadien (IB), die mit einer Operation geheilt werden können. Weiter fortgeschrittene Tumorstadien werden mit einer Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie behandelt.
Die operative Standardtherapie der Tumorstadien IB und IIA ist die radikale Hysterektomie (oft auch Wertheim-Operation genannt). Das dieser Operation zugrunde liegende Konzept ist über 100 Jahre alt, es war gegenüber den damaligen Behandlungsalternativen ein großer medizinischer Fortschritt. Die operative Anatomie der radikalen Hysterektomie hat jedoch eine rein empirische Grundlage. Viele für den Eingriff bedeutsame Strukturen (sogenannte Ligamente und Räume) werden erst durch den Eingriff vom Operateur produziert bevor er sie dann entfernt oder erhält. Es handelt sich dabei also um Dissektionsartefakte. Um die dadurch verursachten anatomischen Variationen zu verringern, wurde immer wieder versucht, eine Klassifikation dieser operativ geschaffenen Strukturen zu etablieren (z.B. die Radikalitätsklassen nach Piver). Die klinischen Ergebnisse mit der nach „Radikalitätsklassen“ vorgenommenen radikalen Hysterektomie zeigen allerdings untereinander keinen Unterschied in der Tumorkontrolle im Becken (dafür aber in den behandlungsbedingten schädigenden Auswirkungen). Die Notwendigkeit einer postoperativen (Chemo-) Radiotherapie zur Erzielung der Tumorkontrolle im Becken bei jeder zweiten Patientin mit einem frühen (IB, IIA) Krebsstadium legt ebenfalls die Defizite der konventionellen radikalen Hysterektomie offen.
Totale mesometriale Resektion (TMMR)
Die totale mesometriale Resektion hat die ontogenetische Anatomie zur Grundlage. Aus der Kenntnis der Embryonal- und Fetalentwicklung des Gebärmutterhalses können alle Strukturen im Becken trotz komplexer Topografie genau identifiziert werden. Die chirurgische Präparation erfolgt entlang den entwicklungsgeschichtlich entstandenen Grenzflächen. So werden beispielsweise anstelle des undefinierten Präparationsartefaktes „Parametrium“ der konventionellen radikalen Hysterektomie bei der TMMR das Harnblasenmesenterium, das vaskuläre Mesometrium und der Mesureter als faszienbegrenzte Strukturen dargestellt. Das vaskuläre Mesometrium wird vollständig reseziert, Blasenmesenterium und Mesureter werden vollständig erhalten.
Da sich der Gebärmutterhalskrebs in Geweberäumen ausbreitet, die die Entwicklungsgeschichte des Gebärmutterhalses topografisch festlegt, ist die TMMR als Operation auf der Grundlage der ontogenetischen Anatomie viel präziser als die konventionelle radikale Hysterektomie.
Therapeutische lumbopelvine Lymphkontenentfernung
Mit einer Untersuchung der Lokalisation von Lymphknotenmetastasen bei über 500 operierten Patientinnen mit Zervixkarzinomen früher und später Stadien ohne Nachbestrahlung konnte erstmals das genaue lymphatische Metastasierungsmuster dieser Krebsart ermittelt werden. Die Ergebnisse sind die Grundlage für die therapeutische lumbopelvine Lymphknotenentfernung im Rahmen der TMMR. Die topografisch festgelegten Lymphknotenbassins werden in Abhängigkeit vom ontogenetischen Tumorstadium, der Tumorgröße und dem Befall des Gebärmutterkörpers lymphstromabwärts reseziert und während der Operation vom Pathologen untersucht. Der intraoperative Nachweis von Metastasen bestimmt die Ausdehnung der Lymphknotenentfernung als first-, second- oder third-line Lymphonodektomie. Zusätzlich zu den Bassinlymphknoten berücksichtigt die ontogenetische Krebsfeldresektion auch die Möglichkeit von Metastasen in den interkalären Lymphknoten und in den third lymphoid organs, die beim Zervixkarzinom ebenfalls eine Rolle spielen.
Onkologische Behandlungsergebnisse der TMMR mit therapeutischer Lymphknotenentfernung ohne Nachbestrahlung
Die in der Leipzig School of Radical Pelvic Surgery entwickelten neuen Operationsverfahren für das Zervixkarzinom wurden prospektiv in einer unizentrischen Langzeitstudie mit über 500 Patientinnen geprüft. Patientinnen, die mit einer TMMR und therapeutischer Lymphknotenentfernung ohne Nachbestrahlung behandelt wurden, hatten gegenüber der konventionellen radikalen Hysterektomie mit Nachbestrahlung bei Risikokonstellation ein bis zu 20% besseres 5-Jahres-Gesamtüberleben.
Gegenwärtig werden die neuen Operationstechniken unter prospektiven Studienbedingungen in 7 europäischen Zentren auf Reproduzierbarkeit getestet. Eine kürzlich (3/2020) durchgeführte Zwischenauswertung konnte die Ergebnisse der Leipzig School voll bestätigen.
Individuelle Tumortherapie
Patientinnen mit histologisch nachgewiesenem Gebärmutterhalskrebs werden nach durchgeführter bildgebender Diagnostik (hochauflösendes MRT des Beckens in T2-Gewichtung, bei fortgeschrittenen Stadien auch ein Ganzkörper PET-CT) einer kurzen physikalischen und endoskopischen Untersuchung in Narkose unterzogen. Dabei werden das konventionelle und das ontogenetische lokale und regionale Tumorstadium klinisch erfasst. Die Tumorkon-stellation, der Allgemeinzustand der Patientin und ihre Therapiepräferenzen sind die Grundlage des für sie erstellten individuellen Behandlungsplans, der ihr (und weiteren Personen nach Wunsch) ausführlich erläutert wird. Jeder Behandlungsplan wird im multidisziplinären Tumorboard diskutiert und im Konsens verabschiedet.
Ganz frühe Tumorstadien können nach dem Prinzip der ontogenetischen Krebsfeldoperationen fertilitätserhaltend vaginal oder vaginal-endoskopisch behandelt werden. Mit speziellen ontogenetischen Krebsfeldoperationen (erweiterte mesometriale Resektion, EMMR; lateral erweiterte endopelvine Resektion, LEER) können auch fortgeschrittene Zervixkarzinome mit dem Ziel der lokoregionalen Tumorkontrolle therapiert werden. In der Regel wird aber diesen Patientinnen die Chemoradiotherapie empfohlen, weil damit im Gegensatz zur operativen Behandlung Harnblase, Urethra und Rektum erhalten werden können.
Der individuelle Behandlungsprozess des Zervixkarzinoms auf der Grundlage des ontogenetischen Krebsfeldmodells ist in einem Flussdiagramm festgehalten und für die betroffene Patientin, ihre Angehörigen und die mitbehandelnden ärztlichen Kolleginnen und Kollegen transparent.
Komplikationen, Folgen, Rückfälle
Trotz sorgfältiger Arbeit erfahrener Operateure lassen sich Komplikationen nicht immer vermeiden. Es handelt sich meistens um Infektionen, die die Wundheilung beeinträchtigen oder um direkte Auswirkungen der Wundheilung, d.h. Narbenbildung. Funktionseinschränkungen der Harnblase, der Vagina oder des Enddarms treten in der Regel nur unmittelbar nach der Operation auf, da die diese Organe versorgenden autonomen Nerven bei der TMMR streckenweise freigelegt werden müssen und danach einige Tage beeinträchtigt sind. Die aus anfangs teilweise offenen Lymphgefäßen austretende Lymphflüssigkeit wird fast immer ohne belastende Symptome vom Bauchraum aufgenommen.
Eine unvermeidbare langfristige Folge der TMMR ist der Verlust der Fertilität. Eine weitere unerwünschte Operationsfolge sind Lymphödeme der Beine und des Schamhügels. Diese treten bei etwa der Hälfte der Patientinnen auf und äußern sich in den allermeisten Fällen (95%) in einer milden, d.h. reversiblen Schwellungssymptomatik. Es hat sich gezeigt, dass sich bei den meisten betroffenen Patientinnen die Ödemneigung nach einigen Jahren spontan zurückbildet, möglicherweise weil auf die Nachbestrahlung verzichtet wird. Lymphödeme, die die Lebensqualität beeinträchtigen, sind selten und haben meistens eine zusätzliche infektiöse Ursache. Deshalb ist es wichtig, dass Patientinnen bei einer (auch nur kleinen) Verletzung der unteren Körperpartien ihren Arzt zur präventiven Behandlung mit einem Antibiotikum aufsuchen.
Obwohl deutlich seltener als nach einer konventionellen radikalen Hysterektomie, kann es auch nach einer TMMR zu Tumorrückfällen kommen. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass ein Zervixkarzinom in seiner malignen Progression schon weiter als mikroskopisch nachweisbar fortgeschritten sein kann. Die lokalen Ausbreitungsräume des Zervixkarzinoms im Becken werden mit einer TMMR bis zum zweiten ontogenetischen Stadium entfernt. Wenn sich die Krebszellen bereits zu höheren Stadien entwickelt haben, können sie zusätzliche Geweberäume, z.B. Harnblase oder Enddarm, kolonisieren und damit einen Tumorrückfall hervorrufen. Aber auch in solchen Situationen bietet die Behandlung der Patientinnen mit einer TMMR und therapeutischen Lymphknotenentfernung Vorteile gegenüber der konventionellen Therapie, denn da generell auf eine postoperative Bestrahlung verzichtet wird, besteht noch die Möglichkeit der Heilung durch eine radikale Radiotherapie des Tumorrezidivs.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einen Tumorrückfall so früh wie möglich zu diagnostizieren, was am besten durch eine Tastuntersuchung durch einen erfahrenen gynäkologischen Onkologen gelingt. Regelmäßige Tumornachsorgeuntersuchungen sollten deshalb von den Patientinnen in Anspruch genommen werden. Sie werden im gynäkologischen Krebszentrum der Universitätsfrauenklinik Essen angeboten.
Fazit
Die hervorragenden Langzeitergebnisse der Leipzig School of Radical Pelvic Surgery nach der Behandlung von Hunderten von Patientinnen mit einem Zervixkarzinom der Stadien IB und IIA mit einer TMMR und therapeutischer lumbopelviner Lymphonodektomie konnten jüngst mit einer ersten Auswertung der multizentrischen europäischen Studie unter der Leitung des gynäkologischen Krebszentrums der Universität Essen bestätigt werden. Die neuen Krebs-feldoperationen auf der Grundlage der ontogenetischen Anatomie des Gebärmutterhalses, die sich in vielen Details von den konventionellen Operationen unterscheiden und ohne adjuvante Strahlentherapie auskommen, haben zu einer 20%igen Verbesserung des Gesamtüberlebens (nach 5 Jahren) geführt und die behandlungsbedingte Morbidität um 40% reduziert.
Die TMMR mit therapeutischer Lymphknotenentfernung steht am gynäkologischen Krebszentrum der Universität Essen jeder Patientin mit einem frühen Zervixkarzinom zur Verfügung.